Plattenkritik: V/A – Music For A Revolution Vol 1 (Syliphone/Radio Martiko)Musik aus Guinea 1967-1973: zwischen Postkolonialismus und Protektionismus
29.6.2025 • Sounds – Text: Jan-Peter Wulf
Mit Guineas Unabhängigkeit ging eine Kulturpolitik einher, die ausländische Musik verbot und traditionelle staatlich förderte. Doch nicht zuletzt durch internationalen Austausch entstand eine trotz Protektionismus facettenreiche Musiklandschaft. Die jetzt mit dieser Edition nachzuhören ist.
Guinea wurde 1958, nach einem erfolgreichen Unabhängigkeitsreferendum, das erste frankophone westafrikanische Land, das sich von der französischen Kolonialherrschaft lösen konnte. Frankreich reagierte wie immer in dieser Zeit, grimmig und mit umfassenden Sanktionen, die das Land wirtschaftlich isolierten. Guineas Präsident Sékou Touré (seine Amtszeit ging bis 1984) ließ sich davon nicht beirren und strebte danach, das Land mit seinen über 30 Sprachgruppen kulturell zu einen und die koloniale Mentalität abzustreifen. Im Kulturbereich mit teils drakonischen Maßnahmen: Touré verbot ausländische Musik in den Medien – ironischerweise dem französischen Protektionismus, der einheimische Musik quotiert, nicht unähnlich – und löste alle Musikgruppen auf, die nur westliche Stücke spielten. Stattdessen entstand 1961 die Kulturpolitik der authenticité, die traditionelle Musik in moderner Form fördern sollte. Die Gründung des „Syli Orchestre National“ war der erste Schritt. Dieses Ensemble diente als Vorbild für zahlreiche Regionalorchester, die im ganzen Lande eingerichtet wurden. Sie verwendeten wieder traditionelle Instrumente, wurden staatlich bezahlt, traten bei nationalen Kulturfestivals gegeneinander an und repräsentierten Guinea im Ausland. Diese Kultur(industrie)politik wurde ab 1968 intensiviert: Der Staat kontrollierte nun vollständig die künstlerische Produktion und führte weitere staatliche Kulturinstitutionen wie Syli-Cinema, Syli-Photo und das Plattenlabel Syliphone ein. Mit deutscher Unterstützung entstanden modernste Tonstudios, Tausende Songs wurden auf Tonband aufgenommen. Sie haben in dieser Form das Ende des Labels, das mit Tourés Tod und dem Ende seines Regimes einher ging, überlebt und in digitalisierter Form von der British Library archiviert.
Aus diesem Fundus wurde nun vom belgischen Label Radio Martiko eine zweiteilige Serie kuratiert. Die erste, soeben erschienene Auswahl mit Syliphone-Aufnahmen von 1967 bis 1973 erweisen sich dabei als weniger homogen, als man aufgrund der strikten Verordnungen vermuten könnte, sondern verbinden traditionelle Klänge der guineischen Volksgruppen mit Jazzigem sowie Rumba, Salsa und anderen kubanischen Klängen. Was nicht wunder nimmt, denn zwischen den beiden sozialistischen und anti-imperialistischen Ländern herrschte reger kultureller Austausch, Guinea orientierte sich beim Aufbau seiner Orchester an der Struktur kubanischer Musikensembles mit Bläsern, Percussion und Gitarren und Musiker:innen reisten in beide Richtungen über den Atlantik. Spannend – und wer noch tiefer eintauchen mag, es gibt jede Menge Playlists rund um das Label da draußen.