„Du kannst aber gut Deutsch!“Mit KI gegen Vorurteile: Der Macher vom Instagram-Erfolg „Hakim decoded“ im Interview
28.11.2025 • Internet – Interview: Matti Hummelsiep
Foto: Screenshot von hakimdecoded – Instagram. Die Fotos für diesen Text wurden mit einer KI generiert.
Mit kurzen KI-generierten Interview-Videos hält ein junger Mann uns allen den gesellschaftlichen Spiegel vor. Zwischen Klischees, Vorurteilen und Alltagsrassismus dekodiert „Hakim Decoded“, was wir insgeheim über Menschen denken, denen wir tagtäglich begegnen. Matti Hummelsiep hat mit dem Macher gesprochen.
19 Millionen Klicks in nur drei Monaten? Klingt nach Influencer. Als selbsternannter „CEO der alternativen Realität“ geht es diesem Creator aber nicht um Werbedeals, im Gegenteil. Fast schon genüsslich seziert der 31-jährige Dortmunder auf seinem Kanal „Hakim decoded“ eine menschliche Eigenschaft, die wir alle in uns tragen: Vorurteile. Als Deutscher mit Migrationshintergrund kennt sich Leon sehr gut damit aus, wie er im Interview erklärt.
Worüber sprechen wir? Hakim ist die wiederkehrende Figur in den KI-generierten Sketches: rote Jacke, Basecap, höflich, unauffällig. In vermeintlichen Straßenumfragen mit BIPoC, aber nicht nur, geht es um Grammatik, Immanuel Kant, deutsche Sprichwörter, Autofachwissen, oder den sächsischen Dialekt. Oft knacken die kurzen Clips die Schallmauer von einer Million Klicks. Sein erfolgreichstes Video? Der „Deutsch-Test in Duisburg-Marxloh“ mit fast vier Millionen Klicks, Stand Oktober 2025.
Schneller als man denkt, wabern die eigenen Vorurteile durch den Kopf: Oder kann ein Obdachloser einen Doktortitel haben? Hat ein Bouncer Beauty-Tipps drauf? Die Clips sind gnadenlos überspitzt, teilweise urkomisch. Und doch kommen sie ohne moralischen Zeigefinger aus, vielmehr denkt man über sich selbst nach. Und das erklärt auch den riesigen Zuspruch, den Hakim, für den Leon viele halten, erhält.
Ein Interview über seine Erfahrungen mit Alltagsrassismus, die Botschaft hinter „Hakim decoded“ und das emotionale Feedback.
Warum machst du die Sketche nicht in real?
Zum einen bin ich nicht so die Rampensau. Durch KI kann ich in meinem Tempo produzieren und dabei immer dieselbe Bildsprache verwenden. Ich muss keine großen Teams zusammenstellen. Ich finde KI auch einfach spannend. Gerade wenn es darum geht, einen Kontrast zu dem zu bilden, wie KI sonst häufig benutzt wird. Ich möchte damit einen Gegenpol bilden.
KI wird auf fragwürdige Weise benutzt. Erkläre mir das näher.
Beispielsweise werden Narrative mit KI dargestellt, die oft dem rechten Bereich zugesprochen werden. Das hängt teilweise mit den Video- und Bildgeneratoren von KI zusammen. Wenn man nicht genau promptet, erzielt man immer ein gewisses Bild. Wenn ich beispielsweise eine glückliche deutsche Familie prompten würde, dann wird die nicht wirklich divers aussehen. Oder es werden Menschen unterschiedlicher Religionen generiert, die aber eher realitätsfern aussehen. Das wurde auch von bestimmten Konzernen und in den Medien kritisiert. Es wurde versucht, über die Trainingsdaten der KI-Generatoren das Ganze ein bisschen diversifizieren.
Du hast erst im Juni 2025 die ersten Clips auf Instagram veröffentlicht und bis jetzt 19 Millionen Klicks generiert. Überrascht dich der Erfolg?
Dass die Clips Reichweite erzielen, das habe ich mir gedacht. Ich habe mir ein Konzept überlegt. Da hat mir meine Social-Media-Erfahrung in die Karten gespielt. Ich glaube, die Videos sind erfolgreich, weil sich viele Leute darin wiederfinden und damit etwas anfangen können. Die Frage für mich war: Wie erzeuge ich mit Dialogen Viralität, ohne auf Kosten bestimmter Personen? Die Leute sind so begeisterungsfähig, es kommt viel positives Feedback. Es gibt aber auch Diskussionen. Die meisten davon sind auf einem Level, die nicht unterhalb der Gürtellinie liegen.
Was schreiben dir die Leute?
90 % der Nachrichten sind an Hakim adressiert: „Hey Hakim, super, was du machst.“ Ich löse das immer direkt auf, weil ich die Leute nicht in die Irre zu führen möchte. Es ist mir aber dennoch wichtig, dass die kreierte Person Hakim nahbar wirkt. Und das merke ich an den Nachrichten, die zum Teil wirklich emotional sind. Ich suche dann den Austausch. Ich möchte nicht der fremde Influencer sein, der sowieso nicht antwortet.

Was meinst du mit emotional?
Viele finden sich in den Stories wieder. Viele fühlen sich ertappt, okay, ich habe auch manchmal zu viele Vorurteile. Das ist der Effekt, der in den Videos steckt. Die Arbeit hat mir auch dabei geholfen, meine eigenen Denkmuster zu überdenken: tief verankerte Stereotype, die wir alle mit uns rumtragen. Niemand geht komplett vorurteilsfrei durchs Leben. Dazu werden wir auch durch mediale Darstellungen gebracht. Ganz viele Bildungsträger und Museen schreiben mir und wollen meine Videos in ihren Lehrveranstaltungen zeigen, oder mit mir zusammenarbeiten. Da freue ich mich sehr drüber! Es zeigt mir, dass es nicht nur beim Effekt der Videos bleibt, sondern dass sie nachhaltig im echten Leben Verwendung finden können. Es gibt einen YouTuber, der ein Video von mir eins zu eins in echt nachgestellt hat. Das fand ich super cool. Ich habe ihm direkt geschrieben. Es melden sich auch Personen, die ich in den Videos darstelle. Die sagen: „Es geht mir genauso wie dieser oder jener Person in deinem Video.“ Das trifft auch auf mich selbst zu. Du siehst ja jetzt im Videocall, dass ich keine rein deutschen Wurzeln habe. Ich sehe mich damit auch konfrontiert, dass die Erwartungshaltung eher ist, okay, da erwarte ich jetzt nicht die starke Rhetorik. Und dann heißt es meist: „Krass, Sie sprechen aber gut Deutsch.“
Sozusagen die zwei Hauptgruppen an Reaktionen.
Mit Sicherheit. Dahinter verbirgt sich viel Gesprächsbedarf. Manche fragen, warum ich das mache und was ich damit bewirken will. Mir geht’s nicht nur um eine Person mit Migrationshintergrund, sondern auch zum Beispiel um den Bauarbeiter. Ich möchte verschiedene Personengruppen darstellen, von denen bestimmte Dinge erwartet, oder eben nicht erwartet werden.
Ist dir ein Kommentar besonders hängen geblieben?
Eine Person hat mal geschrieben: „Ich kann den positiven Kommentaren nur zustimmen, ein Kunstwerk, das Klischees an den Kragen geht und mit einer ganz frischen, leichten Art meine Schubladen entstaubt.“ Das ist wirklich so bildlich.
Wie bist du eigentlich auf die Idee gekommen?
Ich wollte etwas machen, das einen gesellschaftlichen Mehrwert bietet. Da bot sich das Thema Vorurteile an. Diese Überflutung von Social Media mit viral gehenden Straßenumfragen, wo jede Möglichkeit genutzt wird, auf Kosten bestimmter Personengruppen Reichweite zu erzeugen – Ich finde das total schade, weil Straßenumfragen an sich eigentlich ein wichtiges journalistisches Tool sind, auch um aus der wirklichen Mitte der Gesellschaft ungefilterte Meinungen einzuholen. Zeig doch mal, wie unterschiedlich oder wie divers die Gesellschaft wirklich ist.
Und die Figur Hakim?
Mir war wichtig, dass das eine Person ist wie du und ich. Jemand, der nicht besonders auffällig ist, weder in seinem Verhalten noch in seinem Aussehen. Nicht besonders schön, trotzdem cool, aber eben auch nicht besonders. Ein ganz normaler Typ, der sich nicht in den Vordergrund drängt. Er soll nicht der Blickfang sein, sondern eher der Gesprächspartner oder die Gesprächspartnerin. Ich möchte mich mit der generierten Person auch selbst etwas ausdrücken. Der Name Hakim bedeutet auf Arabisch „der Gelehrte“, oder „der Weise“. Und der Name trägt „KI“ mit im Namen.

Wie kommst du auf die Geschichten? Die sind ja zum Teil sehr bildungsbürgerlich. Da gibt es Menschen, die das gar nicht verstehen, weil sie nicht so gut Deutsch können, oder? Auf der anderen Seite sind sie sehr tiefgründig und lustig.
Das dachte ich anfangs auch, dass das gar nicht alle erreicht. Diese Leute schreiben mir dann aber, dass sie den Inhalt trotzdem verstehen. Es ist mir besonders wichtig, dass sich keiner übergangen fühlt. Und dass ich keinen moralischen Zeigefinger hebe. Es gibt einfach drei Fragen, drei Antworten – fertig. Alles andere spielt sich im Kopf der Zuschauenden ab.
Hast du weitere Erkenntnisse gesammelt?
Durch das Projekt ist mir aufgefallen, wie viele Vorurteile es wirklich gibt. Das sind kleine Details in Gesprächen, die man mithört. Da ich ja selbst Migrationshintergrund habe, kenne ich beide Seiten. Deutsche, die Vorurteile gegenüber Deutschen mit Migrationshintergrund haben. Andererseits Menschen in Brennpunkten mit Migrationshintergrund, die total über Deutsche ablästern. Das war für mich auch ein großes Thema in meiner Jugendzeit. Du bist in deiner Findungsphase und musst dich immer auch mit diesem Thema auseinandersetzen. Sätze wie „Du kannst aber gut Deutsch.“ sind dann traurigerweise auch noch nett gemeint. Junge Leute, die ständig auf ihren Migrationshintergrund reduziert werden, fühlen sich dann weniger zugehörig. Worte sind einfach sehr wichtig und das Wichtigste auf meinem Kanal. Mit meinem Projekt möchte ich Brücken schlagen, gerade auf Social Media, wo es viel Hetze gibt.











