Plattenkritik: slowcream – dan/s (no.nine recordings)Rosa Bömbchen auf dem Dancefloor

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Wie aus dem Nichts verzaubert uns Martin Raabenstein mit Musik, die wir alle kennen, so aber noch nie gehört haben.

Nachdem ich bereits vor zwei Wochen mit meiner Plattenkritik nah dran an mir, meiner Umgebung und Vergangenheit war, möchte ich diese Review dazu nutzen, neue Musik von einem lieben Freund vorzustellen. Eigentlich mache ich das nicht gerne – Abstand und so –, aber im Fall von Martin Raabenstein ist mir meine journalistische Distanz herzlich egal. Erstens hat er dieses Magazin viele Jahre aktiv mitgestaltet, sowieso also full support, zweitens hat er mit den Releases auf seinem Label no.nine in den vergangenen 25 Jahren den Status Quo immer und immer wieder kompromisslos-taumelnd hinterfragt, und drittens ist „dan/s“ leider einfach geil.

Ich habe Raabenstein immer als Mitglied des Team „Raushauen“ wahrgenommen. Das galt und gilt für seine Arbeit als A&R für das Label, für seine eigene Kunst, auch abseits der Musik und im Alltäglichen. Der Umgang damit war oft herausfordernd. Es bestand die Gefahr, dass die Veröffentlichungen und Tracks, die mir wirklich etwas bedeuteten und nachhallten, in der Promo-Flut nicht die Bermudadreieck-Pirouette drehten. Ohne den Katalog des Labels nochmal intensiv nachgehört zu haben, kann ich nun und hier, im Herbst 2025, berichten, dass die neun Tracks von „dan/s“ für mich eine derartige Sogwirkung entwickeln, dass das Bermudadreieck schlaff und ermattet, kraft- und perspektivlos von den Anziehungskräften des Universum geschluckt wird. Gute Nachrichten für den Atlantik, noch bessere für die Musik.

Die Pirouette droppt hier nicht zufällig in die Assoziationskette, denn: Es geht auf „dan/s“ um Tanz. Macht ja beim Albumtitel auf Sinn. Ging es bei slowcream aber schon immer, habe ich jetzt gelernt. Ihr könnt das selbst nachlesen, für meine Geschichte rund um die Platte spielt es eine eher untergeordnete Rolle. Ich arbeite mich lieber am Sound ab.

Und der ist schon besonders. Stellenweise gar einzigartig. Vom fulminanten Flow mal abgesehen. „Everyone everywhere“ präsentiert sich als ein High-Fidelity-Versteckte-Kamera-Mitschnitt, in der die Regenwolke aus Blade Runner geheime Informationen mit der besten Bassline von Front 242 austauscht und beide Parteien gleich nach dem Business ins Pleasure wechseln. „Big black car“ ist die B-Seite, auf die alle Dial-Fans seit Jahrzehnten warten. „Mifune mon amour“ orchestriert den Strandspaziergang von Patrick McGoohan und Diana Rigg in Portmeirion unter Beschuss von rosa Bömbchen. Und „Permanent peach“ hätte eigentlich auf Chain Reaction erscheinen müssen. Auf „dan/s“ sitzt jeder Beat, jeder Sound. Der Mix ist weit und breit und luftig. Im kategorisch elektronischen Gerüst tanzen Jazz, Downbeat, nicht ganz gerade (thank God!) 4/3,986-Grooves durch das Dickicht der täglichen Sonnenfinsternis. Dabei bollert alles angemessen unscharf und swingt voller Strahlkraft gen einem Sonnenuntergang, der schon schon längst gestrichen wurde. Auf „dan/s“ ist schlichtweg nichts, wie es scheint. Und das ist sehr gut so.

Warum? Martin Raabenstein spielt mit einem kohärenten Set aus Sounds und Ideen, lässt alles jedoch so in Interaktion treten, wie es noch niemandem eingefallen ist. Dadurch entsteht ein multidimensionales Geflecht aus Arrangements, Strukturen, Referenzen und Brüchen, die nicht nur am Strand von Portmeirion und rosaroter Bombardierung tektonische Verschiebungen auslösen. „dan/s“ bebt. Kontinuierlich und endlos. Das hätte so schon vor langer Zeit in ganz anderen Kontexten passieren müssen. Aber es ist nie zu spät für gute Musik.

Tanzen wir einfach. Haben wir Hoffnung. Schauen wir die Videos zum Album und drehen die Musik nochmal lauter als möglich. Lasst uns einfach wieder machen.

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